Roskilde, '71 noch unter dem Namen „Sound Festival“ begründet, sagt man nach, von allen Festivals am ehesten den Geist von Woodstock zu atmen. Da die meisten, die dies verbreiten, weder bei Woodstock I ('69) noch bei Woodstock II ('94) dabei waren, sind solche Aussagen freilich nicht allzu belastbar. Nach Betrachten der DVD „Roskilde – The Music. The Party. The Feeling.“ wird das Feeling eines Events aber schon sehr viel besser fassbar, das vergangenes Jahr mit + 120.000 Besuchern über die Bühne ging und am kommenden Wochenende wieder ansteht. Mit Nick Cave & The Bad Seeds, Coldplay, Faith No More, Oasis und den Pet Shop Boys wurden auch 2009 wieder hochkarätige Headliner verpflichtet.
Ganz im Gegensatz zu den diversen Wacken-Documentaries oder dem so ambitionierten wie letztlich nur teilweise gelungenen SWR-Film zu Rock Am Ring 2008 ist dem dänischen Filmemacher Ulrik Wivel mit „The Music. The Party. The Feeling.“ eine kenntnisreiche, weil intim beobachtete Liebeserklärung gelungen, ohne jedoch je den kritischen Blick zu verlieren. Der Film hat eine simple, nachvollziehbare Dramaturgie: Zu Beginn sehen wir den Weg aufs Festival von Besuchern mit Ticket, ohne Ticket – mit und ohne Kaufabsicht. Auch letztere gelangen – mit kühnem Sprung – aufs Gelände ;-). Wir sehen die Macher und ihre Vorbereitungen und sehen die Helfer, die mehr als irgendetwas sonst den Charakter einer Veranstaltung prägen, die durch nur ein Dutzend fest angestellte Profis und über 20.000 ehrenamtliche Helfer erst möglich wird. Ein Event, bei dem internationale Stars für geringere Gagen als sonst auftreten und bei dem der gesamte Gewinn nach Abzug der Kosten für wohltätige Zwecke gespendet wird. Und dann sehen wir das Open Air in progress – die Auftritte einiger beispielhafter Bands sowie schließlich den Abbau und – das Aufräumen.
Der Film hat ein mitreißendes Erzähltempo und erzählt seine Geschichte in starken, oft witzigen, noch häufiger enorm ästhetischen Bildern und Einzelszenen – ohne Schlamm und Blut zu überzuckern. Apropos Blut: Viele haben wohl von Roskilde das erste Mal in den Nachrichten gehört. Als nämlich bei einer Panik während des Auftritts von Pearl Jam am 30. Juni 2000 neun Menschen auf matschigem Untergrund zu Tode getrampelt bzw. tragischerweise erstickt wurden. Das Festival wurde damals entgegen durchaus vorhandener massiver Bedenken fortgesetzt. Der Film hat keine voyeuristischen Bilder dieser Szenen zu bieten, dafür Gespräche mit Augenzeugen und Veranstaltern.
Was ist musikalisch am Start? Beispielsweise die ProgMetal-Formation Mnemic fragt nach „Liquid?“, die wie stets nett abgedrehten Editors geben „Fingers In The Factories“, Rufus Wainwright ein inniges „In My Arms“, Sonic Youth geben wieder die Bürgerschrecks, weitere Auftritte von Tartit, The Streets und Mew sind enthalten und über einen eigenen Menüpunkt in gefälligem Sound anwählbar. Wivel und sein Team haben das Festival acht Jahre lang begleitet, vielleicht ist sein Film deswegen soviel reifer und aussagekräftiger als die zahlreichen konkurrierenden Schnellschüsse geworden.