Abteilung „Ich habe ja nichts gegen…“. Zum Beispiel gegen die Kieler Woche, die mir ja, außer ihrer puren Existenz als allesverwertende Wollmilchsau, nichts getan hat. Außerdem führt sie hier einen billigen Stellvertreterkrieg in meinem unehrenhaften Auftrag. So kommt es, dass sich die Veranstalterin fast wie gnädig erbarmt, Jimmy Somerville unter einem grauen Himmel auf eine nicht minder graue Bühne eines ebenso nicht minder grauen Lokalsenders irgendwo am gefühlt dunklen Rande des Festes abzustellen. Dass wir von einem durchwachsenen Sonntag im Rahmen eines müden Gesamtprogrammes sprechen, ist dem Ambiente auch nicht zuträglich. Kiel: Von lebendiger Musikgeschichte nicht weniger weit entfernt, wie das Segelschulschiff Gorch Fock von fairen Arbeitsbedingungen. Somerville kennt vergleichbare Frustlevel aus London. Im Interview mit dem Stern aus 2014 beklagt sich die Ikone wie folgt: „London macht eine riesige Transformation durch. Das sieht man zum Beispiel an der veränderten Skyline – es gibt 20, 30 in den Himmel ragende Hochhaustürme. Andererseits ist die Infrastruktur total veraltet, viktorianisch halt. Es ist ein permanenter körperlicher und mentaler Kampf. Die Kommunen und Nachbarschaftsgemeinden werden einfach weggespült. Dabei war London mal was ganz Besonderes. Ich bin 30 Jahre in London nur mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, das ist bei dem Verkehr heute kaum mehr möglich.“ Apropos Verkehr, Bühne, The Communards und Bronski Beat. Wer seinerzeit „Smalltown Boy“ nicht verstanden hat, der bekommt, so entscheide ich beim Blick in das einigermaßen ok gefüllte, eigentlich eckige Rund, jetzt seine zweite Chance. Mitten in den Gedanken hinein platzen dann all diese fabulösen Hits. Solche, die schon längst überreizt schienen, aber auch neue wie das einfach tolle „Freak“ auf „Homage“ (2015). Das wurde sogar von der Spex über den frischesten Klee gelobt. Somervilles jüngstes Album „Homage“ mit demselben einen „M“ wie in Somerville. Wäre es nicht irgendwie traurig, dann müsste man konstatieren: „Den Typ müssen wir uns merken, Schatz“. Die Diskokugel jedenfalls dreht sich über seiner 12-köpfigen Band (!) und über Somerville auf Tour im Frühjahr.