Sich Willie Nelson zu nähern, ohne das altbekannte Outlaw-Klischee zu bedienen? Ohne mit jenen bösen Zungen zu sprechen, die behaupten, Nelson sei heute zwar erfolgreich, aber das auch nur dank regelmäßiger opulenter Duette? 1997 spielte Nelson einen Songwriter in der US-amerikanischen Satire „Wag The Dog“ an der Seite Dustin Hoffmans. Im richtigen Leben ist es Nelson, der an der Seite tüchtiger Songwriter agiert. Oder einfach mal Randy Newmans bittere Bestandsaufnahme „Louisiana“ aus 1974 zum milden Alterswerk deklariert. Nelson, der in wenigen Tagen 75 Jahre alt wird, weiß um die Balance zwischen Schmeicheln und Schrecken. „Keep Me From Blowing Away“ steht gottesfürchtig, aber in derselben Ewigkeit, mit der das düstere „Gravedigger“ im „Six Feet Under“-Style daher kommt. „Takin' On Water“ könnte als minimale funky Soft-Country-Version des Über-„Wonder“s „Higher Ground“ durchgehen, die Eigenkomposition „Always There“ mäandert melancholisch, und „I'm Alive“ erinnert, dass kein Stern am Himmel von alleine glüht. Man mag Nelsons Vielfalt als Beliebigkeit auslegen. Ihm vorwerfen, jeden Purismus mit allerlei süßlichen Spurenelementen vollzukleistern. „Moment Of Forever“ aber vereint am Ende anspruchsvolles Songwriting mit dem etwas verwaschenen Storytellin' in einem Interpreten, dessen Stimme mal ohnehin über alles irdische erhaben ist. Dass man Nelson auf dem Cover als weiteren Mann in Schwarz stilisiert, entspricht jedoch nur einem kleinen Teil seiner Facetten. „You may call me Willie / You can call me Ray (Charles) / And it may be the Devil or the Lord / You're gonna have to serve somebody“ – die mundgeblasene Dylan-Adaption „Gotta Serve Somebody“ steht als vereinendes Schlusswort seinen Mann. Wer danach noch den Hidden Track abwartet, erhält sogar eine hübsche Nuance Studio-Humor gratis dazu. Und wer sich dieser Tage in einem unserer vielen Nachbarländer aufhält, kann in den Genuss eines der Konzerte von Nelsons Europa-Tour kommen.