Wer sein eigenes Album „Girls & Boys“ nennt, es mit Püppchen verziert, die gleichzeitig süß wie Marzipan wirken und so zerbrechlich wie Porzellan, gibt schon mal gewisse Windrichtungen vor. Und Ingrid Michaelson steht in vielen ihrer Songs auf Album Nummer Zwei so sehr mittendrin in Böen aus Selbstzweifeln unter latent fragiler Orientierungslosigkeit, dass man ihr das Bild vom verhuschten „Bibliothekarinnen-Chic[k]““ glatt auf der Stelle abnehmen möchte. Wäre da nicht diese andere Seite der New Yorkerin. Eine die sich weder die – von manchen unfassbar eingeschränkten „Gut-Meinern“ als unstylisch markierte – Brille zugunsten besserer Verkaufszahlen vom Kopf nehmen lässt. Auch eine, die sich mitnichten vor den Menschen versteckt, wie erst jüngst und überaus sympathisch frech im Vorprogramm der Jason-Mraz-Europatour allabendlich bewiesen. Ein Ort, an welchem ihr natürliches, selbstironisches, aber auch erworbenes (Schauspiel-)Talent noch deutlicher zur Geltung kommt als auf dem urbanen Hochplateau ihrer hin- und hergerissenen Geschichten wie etwa „Breakable“ und dem selbsterklärenden „Die Alone“. Nahtlos fortgesetzt im ambivalenten, aber fröhlich zwischen Familienromantik und Bar pendelnden „So Far“. Man könnte diese Geschichten „Specs in the City“ untertiteln, dessen freie Übersetzung wir jetzt dem Leser von der Brille über die Spezifikation von Individuen bis hin zu allerlei Spekulationen über das Leben freistellen. Am Ende ist „Girls & Boys“ ein 13-teiliges Songwriter-Ungleichgewicht im luftigen Lounge-Pop-Kleidchen. Weder Püppchen, noch Porzellan, sondern ganz einfach „The Way I Am“: Das empathische Mädchen mit der Sehhilfe eben. Und wer davon nicht genug bekommen kann und die zwei Konzerte diese Woche in Berlin und Köln verpasst hat, besucht eines der Konzerte im kommenden Frühjahr oder hört bis dahin mal genau auf dem aktuellen William Fitzsimmons-Langspieler „Goodnight“ hin.