Was für eine Abfuhr Aznavour da reitet: „Du lässt dich gehn“ ist eine wahre Ausgeburt an Gemeinheiten, die jeden zeitgenössischen und Eiffelturmhohen Scheißesturm von heute im asozialen Netzgebinde harmlos erscheinen lässt. Inklusive der gutgemeinten Ratschläge gegen Ende des Liedes bleibt eine Faszination irgendwo zwischen Fremdschamlippen, dem Gedanken an eine Emma-Sonderauflage und der Erkenntnis, dass in den Sechzigern offenbar viel weniger Verstand auf die politisch korrekte Wasserwaage gelegt wurde, als das heute der Fall ist. Der Mann wäre somit also wie gemacht für die angeblich so harten Präsidentensessel der Neuzeit. Wolf im Schafspelz, die Bohème im Dornenkleid, Romancier im Nachtklub? Aznavour kann und kennt sie alle. Aznavour, der mir noch in den Siebzigern und Achtzigern Gelegenheit zur Pinkelpause gab, wenn wieder mal Showtreppenzeit im Samstags-TV war. Ich habe begriffen oder auch nicht. Der Captain Picard von den fernen Chanson-Welten trifft auf Traumschiffe und zerlegte Traumschlösser. Selten war Frankreich so authentisch in der Musik. Im Frühjahr nicht ganz so intim, aber dafür mal wieder am Limit in den großen Hallen des Landes: Charles Aznavour. Formidable!